Zeugenaussagen im Auschwitz-Prozess: Hermann Langbein

Hermann Langbein als Häftling in Auschwitz, 1942

Hermann Langbein, 1964

Der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein berichtet dem Gericht über die katastrophalen Zustände im „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau.

 

Der Schriftsteller Hermann Langbein war bei seiner Aussage im Auschwitz-Prozess 51 Jahre alt und lebte in Wien. Nach einigen Monaten im KZ Dachau war er im Sommer 1942 nach Auschwitz deportiert worden. Dort arbeitete er illegal in der Widerstandsgruppe „Kampfgruppe Auschwitz“. Seine Häftlingsnummer als politischer Häftling war 60.355. Er war der Chronist des Auschwitz-Prozesses und veröffentlichte 1965 darüber eine umfassende Darstellung. Einige Jahre später erschien sein Hauptwerk "Menschen in Auschwitz", eine Studie über Opfer und Täter des Holocaust. Eine Gesamtdarstellung über den Widerstand in den KZs veröffentlichte er 1980.

 

Nach dem so genannten Auschwitz-Erlass vom Dezember 1942 wurden „Zigeuner“ in Deutschland und in den besetzten Ländern verhaftet und nach Auschwitz verschleppt. Am 26. Februar 1943 traf der erste Transport mit Sinti und Roma aus Deutschland in Auschwitz ein. Ohne die sonst übliche Trennung zwischen Männern und Frauen wurden sie im so genannten Zigeunerlager BIIe in Birkenau untergebracht. Von insgesamt 23.000 nach Auschwitz deportierten Sinti und Roma fielen Tausende den Infektionskrankheiten zum Opfer, die sich dort aufgrund ständiger Überfüllung, Unterernährung sowie katastrophaler hygienischer Verhältnisse innerhalb kürzester Zeit ausbreiteten. Nur 3.000 Menschen, vor allem Alte, Frauen und Kinder hatten bis zum Sommer 1944 überlebt. Sie wurden am 2. August 1944 in den Gaskammern des Krematorium V ermordet. In seiner Aussage beschrieb Hermann Langbein, der als Häftlingsschreiber Einblicke in alle Bereiche des Lagers hatte, auch die extremen Verhältnisse im so genannten Zigeunerlager.

Tondokument: Aussage des Zeugen Hermann Langbein im Auschwitz-Prozess; © Fritz Bauer Institut

 

„Ich habe dort angeschaut also zuerst einmal die Ambulanz. Das war schon ein schlimmer Anblick. Vor allem erinnere ich mich daran, es werden sicherlich auch andere gestanden sein, aber ich erinnere mich vor allem an Frauen mit ihren Kindern, die dort gestanden sind, mit kranken Kindern. Das Lager war in einem unbeschreiblichen Zustand: Lehmboden, aufgeweicht, verdreckt, keine Waschmöglichkeit, die Latrinen, ich glaube, sie wurden Ihnen schon geschildert, wie sie in Birkenau aussahen, keine Reinigungsmöglichkeit für die Kleider. Die Kinder haben am schlimmsten ausgeschaut. Oder vielleicht hatte man den Eindruck bei den Kindern, daß es am schlimmsten war, weil es einem am nächsten gegangen ist. Ich habe dann mir einen Krankenblock angeschaut, und zwar war das der Krankenblock, in dem auch die Frauen gelegen sind, die entbunden haben. Im Zigeunerlager kamen auch Kinder zur Welt. Ich habe viel gesehen in Auschwitz. Tote waren für uns eine Alltäglichkeit. Man ist furchtbar hart geworden in Auschwitz, so hart, daß man manchmal Angst gehabt hat, ob man wieder ins normale Leben zurückfindet. Aber was ich dort gesehen habe, das war schlimmer als alles andere. Ich habe Frauen gesehen, die glücklichsten waren die – es waren einzelne darunter –, die wahnsinnig geworden sind. Ich habe kleine Kinder gesehen, Neugeborene, die einzige Sorge, die ihnen zuteil wurde, war die, daß sie sofort die Häftlingsnummer tätowiert bekamen mit einem ,Z‘. Und zwar bekamen die die Häftlingsnummer in den Oberschenkel, weil der Unterarm eines Säuglings zu klein war dafür. Und ich habe dann die Leichenkammer gesehen, die anschließend hinten bei dem Block war, und dort war ein Berg von Leichen, Kinderleichen, und dazwischen waren die Ratten. Ich habe dem Standortarzt dann gesagt, wie die hygienischen Verhältnisse in Birkenau sind. Ich habe aber an der Sterblichkeitszahl also keine Besserung der hygienischen Verhältnisse ablesen können. Das Ende des Zigeunerlagers ist ja bekannt. Sie wurden alle vergast.“

 

 

Text aus: Monica Kingreen, Der Auschwitz-Prozess 1963–1965. Geschichte, Bedeutung und Wirkung, (Pädagogische Materialien Nr. 8, Fritz Bauer Institut), Frankfurt am Main, 2004, S.74f.

Der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein berichtet dem Gericht über die katastrophalen Zustände im „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau.



Autor/in: Monica Kingreen
erstellt am 01.01.2006
 

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